Netzpolitik: Sprengt die goldenen Digital-Käfige!
Netzpolitik: Sprengt die goldenen Digital-Käfige!
NB: Gastkommentar auf Zeit-Online von Katharina Nocun aus dem Jahr 2013
Die Rentner der Zukunft werden eine digitale Sehhilfe mit Internet-Anbindung haben. Stellen Sie sich vor, Großkonzerne blenden in diese dann neben dem Bild des Enkels Werbung für Spielzeug ein. Oder Geheimdienste klinken sich in das Sichtfeld ihrer politisch interessierten Freunde. Damit wäre es möglich, die Wahrnehmung vieler Menschen und damit ihr Verhalten entscheiden zu beeinflussen. Klingt wie Science-Fiction?
Schon heute gibt es Brillen, mit eingebautem Computer. Wenn wir den Status Quo im Netz stillschweigend hinnehmen, könnte es zu einer realistischen Perspektive werden.
Das Netz ist nicht zu der schönen neuen, offenen und gleichberechtigten digitalen Welt geworden von der die Nerds und Geeks in den Neunzigern geträumt hatten. Wohin wir schauen, finden wir geschlossene Systeme, geheime Codes, unfreie Standards und Hintertüren für Geheimdienste. Willkommen in der globalen Gated Community!
Dabei waren einst offene Standards der Schlüssel zur Erfolgsgeschichte des Netzes. Bruce Schneier schreibt, die Geheimdienste hätten den Gesellschaftsvertrag der Netzbewohner kaputt gemacht. Doch wie frei ist ein Vertrag, den ich mit einem Monopolisten schließe? Die Berichte der letzten Monate legen den Verdacht nahe, das Internet sei irgendwo kaputt – doch wie können wir es reparieren? Die Antwort: Wir müssen bei Geheimdiensten aber auch bei den Unternehmen ansetzen.
Zentralisierte Daten lassen sich leichter verkaufen
Der Markt im digitalen Raum begünstigt die Einrichtung eines engmaschigen Überwachungsnetzes. Einige wenige Monopolisten generieren Gewinne durch umfassende Datensammlungen. Die Struktur folgt der Logik des Consumerism, der Frage wie man Nutzerinteraktionen am effektivsten zu Geld machen kann. Statt dezentraler offener Strukturen und Marktplätze etablieren sich so zentralisierte und abgeschottete Shopping-Malls mit Vollüberwachung.
Geheimdienste brauchen nur wenige Anbieter anzuzapfen, um einen Großteil der Nutzerdaten abzugreifen: Google, Apple, Microsoft und Facebook. Mit staatlichem Druck werden sie gezwungen, Hintertüren in ihre unfreie Software und in ihre Verschlüsselungsdienste einzubauen. Sind sie nicht willig, dann kommt man mit Gerichtsbeschluss und Maulkorberlass. Die Snowden-Dokumente zeigen, dass mehrere tausend Menschen in Dutzenden Unternehmen über die Zugriffsmöglichkeiten der Dienste informiert waren, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Das Netz entwickelt sich zu einem Zusammenspiel von wenigen Gated Communities, in denen aus ökonomischen Gründen überwacht wird und für die Marktforscher und der Staat einen Zweitschlüssel bekommen.
Unser Recht an den eigenen Daten geben wir bei den Pförtnern der digitalen Hotels ab. Das ist der Normalfall, nicht die Ausnahme. Wer einen Rechner ohne vorinstallliertes Microsoft mit Hintertüren-Outlook oder ohne Apple Betriebssystem kaufen möchte, kann lange suchen. Den kommerziellen und staatlichen Überwachern kann nur entgehen, wer Zeit und technischen Sachverstand hat.
Menschen gehen nicht zu Facebook, weil das Unternehmen die besten Geschäftsbedingungen auf dem Markt hat. Die liest sowieso niemand. Menschen gehen zu Facebook, weil alle anderen bereits dort sind und so schnell auch nicht wieder wegkönnen. Wer aus den geschlossenen Gesellschaften ausbrechen will, muss seine Bekanntschaften und sein Leben zurücklassen. Dieser Netzwerkeffekt befeuert das Entstehen von Monopolen.
Datenportabilität, also das Recht, seine Daten in einem frei lesbaren Format einzupacken und anderswohin mitzunehmen, ist nicht vorgesehen. Soziale Netzwerke wollen uns in ihrem goldenen Käfig halten. Das verhindert Vielfalt und Wettbewerb im Netz – bei dem auch Anbieter eine Chance hätten, die anders mit den Daten ihrer Nutzer umgehen. Sie kommen gegen die Monopolisten hinter ihren hohen Mauern nicht an.
Dezentrale Dienste sind für Nutzer besser und sicherer
Wenn wir uns an die Anfänge des Internets erinnern, erkennen wir erstaunliche Parallelen zu den heutigen Problemen – aber auch mögliche Lösungen. Anfangs konnte man von AOL-Mail nur zu AOL-Mail schreiben und nicht mit anderen Anbietern kommunizieren. Das hat sich erst durch offene Schnittstellen und offene Protokolle geändert. Der Datenverkehr wurde befreit.
Wer heute angesichts paranoider Geheimdienste kommerziellen E-Mail Anbietern nicht vertraut, kann seinen eigenen Mailserver betreiben. Es gibt eine Wahl, weil alle Dienste gleichwertig sind und miteinander reden. Die Schnittstellen zwischen ihnen sind offen.
Das ist bei Sozialen Netzwerken und anderen zentralisierten Diensten nicht so. Aber genau diese fundamentale Veränderung wäre notwendig, damit nicht immer nur ein Monopol durch das nächste ersetzt wird. Offene Schnittstellen würden eine andere Zukunft ermöglichen: ein Nebeneinander durch direkte, verschlüsselte Kommunikation von Endgerät zu Endgerät anstelle des jetzigen Nebeneinanders von Gated Communities.
Monokulturen aufgeben
Technisch ist es ohne weiteres machbar, dass jeder Nutzer seinen eigenen Server betreibt. Dafür gibt es sogar schon einen Begriff: Freedombox. Im Grunde ist das ein WLAN-Router, der um Server- und Speicherfunktionen erweitert wird.
Das einzige Hindernis sind die Mauern der Monopolisten. Facebook und Co. müssen ihrer Mauern einreißen, müssen gezwungen werden, ihre Monokulturen aufzugeben. Sie müssen offene Schnittstellen für die Kommunikation ins Netzwerk herein und aus dem Netzwerk heraus anbieten, Standards offen legen und vollständige Datenportabilität garantieren. Das brächte mehr Konkurrenz, mehr Wettbewerb, und am Ende mehr Souveränität für den Nutzer.
Die Politik hat schon einmal gezeigt, dass sie das kann. In den neunziger Jahren hat sie den Telekommunikationsmarkt auf ganz ähnliche Weise zu mehr Zusammenarbeit und Offenheit gezwungen und damit einen Innovationsschub ausgelöst. Heutzutage befindet sich eine Vielfalt an Geräten, Anwendungen und Tarifen auf dem Markt, die zu Zeiten des Monopols der Deutschen Post schlicht undenkbar war. Die gleiche Entwicklung ist auch zu erwarten, wenn die Anbieter sozialer Netzwerke ihre Schnittstellen öffnen.
Aber offene Standards genügen nicht. Es braucht außerdem dezentrale Konzepte der Datenverarbeitung, damit Nutzer ihre Souveränität zurückerobern können.
Unsere mobilen Geräte werden immer günstiger und leistungsstärker und doch gleichzeitig immer dümmer. Smartphones und Tablets sind nur noch Terminals, die ohne die Datenverwaltung auf den Servern der Cloud wertlos sind. Das ist aus Unternehmenssicht logisch, nur bei starker Zentralisierung lassen sich unsere Daten leicht sammeln und verkaufen. Auch die Geheimdienste profitieren davon.
Aus Sicht der Nutzer aber sind dezentrale Systeme besser und sicherer. Das beweist das Internet selbst, das keine zentralisierten Strukturen kennt und erst dadurch gegen Ausfälle resistent wird. Das beweisen Mail und Chat und Filesharing-Netze. Kein zentraler Server kontrolliert dabei den Datenfluss, Verbindungen und Datenübertragungen finden direkt zwischen den Nutzern statt. Angriffe auf solche Systeme treffen immer nur einige Wenige und nicht gleich alle Nutzer. Auch das Abschalten oder Zensieren wird so erschwert. Funktioniert so ein Netzwerk auch noch auf Basis freier Software mit offenem Quellcode ist es deutlich schwerer, sich unbemerkt Zugriff zu verschaffen. Ein Alptraum für jeden Geheimdienst und jeden Marktforscher.
Um die Gated Communities aufzubrechen, brauchen wir also offene Standards und offenen Quellcode, Datenportabilität und durchlässige Systeme.
Die Monopolisten des Netzes haben kein Interesse daran, ihre Nutzer aus der Geiselhaft zu entlassen. Sie sind dem Profit und nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet, wir können also nicht einfach auf ihr Entgegenkommen hoffen. Wir müssen die Spielregeln selbst ändern.
Warum fördern wir nicht freie Software mit offenem Quellcode in Nutzerhand und offene Protokolle und Schnittstellen, statt Geld in Überwachungshochrüstung zu versenken? Warum kein Gesetz zur Netzneutralität ohne Hintertüren? Warum nicht das Kartellrecht zeitgemäß umbauen, damit es den neuen Marktstrukturen gerecht wird und auch die neuen Monopolisten an die Kette nimmt? Wenn das, was Google oder Facebook machen, keine marktbeherrschende Stellung ist, was bitte ist es dann?
Das öffentliche Leben findet zunehmend im Netz statt. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Netz weiter zu einer Shopping-Mall mit privatem Sicherheitsdienst degeneriert. Das Internet ist nicht primär Markt, sondern zu allererst kritische Infrastruktur der digital vernetzten Demokratie. Deshalb müssen wir es beschützen mit allen politischen Mitteln, die wir haben.